Erfahrungsberichte
Hier finden Sie einige Erfahrungsberichte seelisch erkrankter junger Erwachsener, die im Rahmen der Redaktionsarbeit zu unserer ehemaligen Homepage entstanden sind und die wir Ihnen nun an dieser Stelle zugänglich machen wollen.
Borderline
Borderline…Das erste was einem dazu einfällt ist wahrscheinlich der Satz und das Buch mit dem gleichnamigen Titel „ich hasse dich – verlass mich nicht“.
Das traf auf mich nie zu. Ich denke es gibt unter Borderline viele verschiedene Ausprägungen.
Ich habe nicht gehasst, ich habe so geliebt, dass ich mich selbst verlor.
Gefühle waren und sind zum Teil immer noch ein großes Mysterium für mich. Gefühle zu erkennen und vor allem sie auszudrücken, ist immer wieder eine große und kraftzehrende Arbeit.
Doch wenn ich dann ein Gefühl habe, es benennen und ausdrücken kann, neige ich dazu, mich von diesem beherrschen zu lassen.
Bei mir war das, das Gefühl „Liebe“. Diese Intensität kann ich mit Worten kaum beschreiben. Es kann sehr schön sein, so stark zu fühlen, aber einen ebenso tief zu Fall bringen.
Es ist für mich sehr schwierig zu verstehen wenn Menschen anders fühlen. Wenn ein Gefühl für mich so allumfassend so allgegenwärtig ist, wie kann es dann für jemand anderen nicht so sein? Generell andere zu verstehen ist ganz schön schwer. Selbst wo ich das hier grade schreibe, merke ich wie verwirrend das alles ist. Und als wäre das nicht schon schwierig genug, kann es von einer Sekunde auf die nächste sein, dass dieses Wirrwarr an Gefühlen sich auf einmal in völlige Leere umwandelt. Es ist wie wenn auf den heißesten Sommertag der kälteste Wintertag folgen würde. Ohne das es einen Übergang gibt.
Marina, 22 J.
Paranoide Psychose
Als sich vor ca. 10 Jahren meine paranoide Psychose das erste Mal zeigte, wusste ich noch nicht mal, was das Wort Psychose bedeutet, geschweige denn, was auf einmal mit mir passierte. Ich hatte das Gefühl, die Welt um mich herum veränderte sich plötzlich. Irgendetwas war anders.
Mit der Zeit dachte ich, ich könne per Gedankenkraft meine Umwelt steuern. Irgendwann kamen dann die Stimmen, die mich beschimpften. Ich traute niemandem mehr und fing an mich zu isolieren. In die Schule traute ich mich immer weniger. Stattdessen versteckte ich mich irgendwo im Park, wo mich hoffentlich niemand sah.
Zu Hause sprach ich mit niemandem darüber, lag hauptsächlich im Bett und starrte die Decke an und hatte an nichts mehr Freude. Natürlich machten sich meine Eltern Sorgen und wunderten sich über mein seltsames Verhalten.
Wenn ich Klausuren mitschrieb, konnte ich mich kaum noch konzentrieren und schrieb schlechte Noten. Alles ging den Bach runter. Der Kontakt zu meinen Mitschülern und Freunden brach immer mehr ab und meine Mitschüler konnten mein seltsames Verhalten nicht zuordnen.
Irgendwann hatte ich durch die Initiative meiner Eltern dann ein erstes Gespräch mit einem Psychologen, der recht schnell Verdacht schöpfte, dass ich an einer paranoiden Schizophrenie litt. Ich kam sofort ins Krankenhaus und es folgte eine schwere Zeit mit Medikamenten und Therapien. Es dauerte eine ganze Zeit, bis ich medikamentös gut eingestellt war, meine Erkrankung erkannte und durchschaute.
Nach der Klinikzeit folgte eine lange Zeit in einem Wohnheim, die mir sehr gut tat. Ich hatte viele Menschen mit ähnlichen Erkrankungen um mich herum. Nachdem ich meine Medikamente einmal selbständig absetzte, bekam ich einen schweren Schub und musste wieder für 3 Monate in die Klinik.
Nach meiner Entlassung ging es aber dann stetig bergauf und ich lernte immer mehr mit meiner Erkrankung umzugehen und zu leben.
Heute, mit 26 Jahren kann ich ein zufriedenes Leben führen, bin medikamentös gut eingestellt und stabil. Lediglich die Nebenwirkungen der Medikamente stören etwas. Insgesamt kann ich aber gut mit der Erkrankung leben und durchschaue sie.
M., 26 J.
Posttraumatische Belastungsstörung
Mein Name ist Simone, und ich bin seit ich 15 bin in dauerhafter, teils stationärer, teils ambulanter therapeutischer Behandlung aufgrund einer Posttraumatischen Persönlichkeitsstörung, Dissoziativer Identitätsstörung, Emotionaler Identitätsstörung und Depressionen.
Als ich mit 15 in die Kinder- und Jugendpsychiatrie wegen eines Suizidversuchs eingeliefert worden bin, war ich total gegen Therapien. Ich konnte damit nichts anfangen und wollte da einfach nur so schnell wie möglich wieder raus und mich verkriechen. Aber da ich minderjährig war, konnten meine Eltern mit den Ärzten entscheiden, wie lange ich bleiben musste. Fünfeinhalb Monate bin ich da geblieben und habe dort auch eine sehr, sehr gute Freundin kennen gelernt. Teils war ich auf einer geschützten Station und teils in der Tagesklinik. Auf beiden Stationen konnte ich am Schulalltag in der Klinik teilnehmen. So schaffte ich auch den Abschluss der 11. Klasse in der Klinik.
Es fiel mir danach sehr, sehr schwer wieder in den Schulalltag im „normalen“ Leben reinzukommen. Die Mitschüler kamen mit meiner Erkrankung nicht zurecht und meine traumatischen Erlebnisse, die ich bis dahin noch niemandem mitgeteilt hatte, holten mich erneut ein, so dass ich die Schule abbrach. Bei meiner ambulanten Therapeutin äußerte ich mit 16 das erste Mal andeutungsweise was mit mir geschehen war. Dank ihr, kam ich in eine Klinik speziell für Traumapatienten. Jedoch brauchte ich zwei Anläufe dort, um mich komplett zu öffnen. Erst dort lernte ich, dass Therapie nichts Schlimmes ist, sondern einem helfen kann. Aber es klappte immer noch nicht recht.
Um den schlimmen Erinnerungen zu entfliehen zog ich mit 17 alleine nach Aachen. Ich bekam eine Empfehlung mir durch Ambulant Betreutes Wohnen helfen zu lassen. Dies versuchte ich auch, und die Unterstützung des Betreuten Wohnens gab mir Kraft. Jedoch reichte dies leider nicht aus um meine inneren Dämonen, wie Flashbacks, Dissoziationen und vor allem Blackouts zu überwinden. Ich kam mehrfach erneut stationär in die Klinik, und wurde auch weiter ambulant von der Klinik betreut.
Jedoch wurden die Aussetzer durch die Dissoziative Identitätsstörung irgendwann zu heftig. Ich fand mich an irgendwelchen fremden Orten wieder, ohne Geld oder Schlüssel. Ich hatte Angst!
Trotzdem weigerte ich mich in die Klinik zu gehen, und somit konnte meine BeWo Betreuerin und der Kostenträger mich nicht mehr tragen. Der Kontakt fiel weg. Ich war alleine!
Aber es war aus heutiger Sicht die richtige Entscheidung, denn dadurch begriff ich das erste Mal, dass ich es nicht alleine schaffen würde. Nach mehreren Zusammenbrüchen und Krankenhausaufenthalten begab ich mich durch einen Hilferuf in die Klinik und ließ mir helfen.
Ich knüpfte erneut den Kontakt zum Betreuten Wohnen und bekam eine neue Betreuerin. Ich wünschte mir so sehr das jetzt alles klappen würde. Aber so einfach war es nicht. Durch die Klinik konnte ich an der Arbeitstherapie teilnehmen. Diese hat mir sehr gut getan für eine Zeit lang. Doch immer und immer wieder kam es durch die verschiedenen Symptome meiner Erkrankung zu Einbrüchen und ich kam ins Krankenhaus oder in die Klinik. Auch sehr oft selbstverschuldet.
Erst nach einem erneuten Klinikaufenthalt, fing ich an zu verstehen. Die genauen Gründe kann ich nicht beschreiben, aber ich wusste es ging nicht mehr so weiter. Ich konnte nicht mehr in Selbstmitleid baden und alles den anderen zuschieben. Meinen Peinigern, meinen Eltern, meinem Exfreund, dem Jugendamt. Es war mein Leben und nur ich kann es lenken.
Das war mein Glück. Ich lernte jemanden kennen, und wir halfen uns gegenseitig. Ich fing an am Abendgymnasium, mein Abitur nachzuholen. Es war ein schwieriger Weg, da ich auch zu dem Zeitpunkt gleichzeitig noch einen Medikamentenentzug gemacht habe. Denn auch das wollte ich hinter mir lassen.
Es kam natürlich zu psychischen Rückfällen. Die Flashbacks und Dissoziationen waren ja nicht sofort verschwunden. Ich begann zudem bei meiner Therapeutin eine spezielle Traumatherapie zu machen. Aber diese Therapie tat mir nicht gut und wir hörten auf, zudem hatte ich zu dem Zeitpunkt noch Klausurphase.
Die Schule lief gut, die Mitschüler fanden mich zwar komisch, aber sie halfen mir, wenn ich dissoziierte.
Ein halbes Jahr vor meinem Abschluss kam es zur Trennung von meinem Freund, jedoch war das eine gute Trennung, wir verstehen uns heute noch! Kurz darauf lernte ich jemand neues kennen. Jemanden der keine Vorerfahrung mit Psychiatrie und Therapie hat. Und es war erfrischend. Diese Unbeschwertheit.
Durch die jahrelange Therapie, die Unterstützung des Betreuten Wohnens und die nun endlich erlernte Einsicht, schaffte ich mein Abitur. Ich lernte langsam zu leben und hatte Erfolg.
Das bestandene Abitur gab mir viel Kraft! Ich begann ein Praktikum im sozialen Bereich und bewarb mich für das Studium der Sozialen Arbeit. Das Praktikum war ein voller Erfolg! Ich war mittlerweile so weit gestärkt, dass ich es erfolgreich durchlief! Ich war begeistert von der Arbeit und wusste, das will ich später auch beruflich machen. Als dann noch zwei Universitäten mir eine Zusage schickten, freute ich mich sehr!
Nun fange ich im September an zu studieren und bin mit meinem Freund zusammengezogen.
Auch heute habe ich schlechte Tage, und auch heute habe ich noch Flasbacks, Dissoziationen und ab und zu noch Blackouts. Es ist bei weitem nicht mehr so häufig wie früher, aber sie sind nicht weg. Und trotzdem habe ich gelernt damit umzugehen.
Meiner Meinung nach können Therapeuten und Sozialarbeiter (die ich hoffentlich auch bald bin ;) ) einem viel Erzählen und Zuhören, was auch sehr hilfreich ist, jedoch liegt es an einem selber, ob man sein Leben leben will.
Die Therapie und das BeWo haben mich wirklich sehr unterstützt und mir dabei geholfen, dass ich diese Einsicht bekomme.
Simone
Essstörung
„Um einen Feind zum Freund zu machen, braucht man Geduld und Akzeptanz“
Lange habe ich gebraucht um den Kampf gegen meine Magersucht zu gewinnen.
Kampf, hört sich anstrengend und hart an, so war es auch. Aber dieser harte Weg hat sich gelohnt!
Es gibt unterschiedliche Gründe für die Entstehung einer Magersucht. Manche fühlen sich zu dick, Andere finden ihren Körper hässlich.
Ich wollte, dass mein Köper verschwindet. Ich wollte, dass nichts mehr von ihm übrig bleibt. Ich habe mich vor meinen eigenem Körper geekelt und empfand diesen als schlimmsten Feind, - also musste er verschwinden -. Jedes Gramm, das ich abnahm, gab mir das Gefühl wieder ein Stück weniger zu sein und die völlige Kontrolle darüber zu haben, wie viel meines Körpers vorhanden ist.
Zu der Zeit wurde ich durch das Jugendamt betreut und hatte die Auflage, wöchentlich zur Gewichtskontrolle bei meiner Hausärztin zu erscheinen.
Eines Tages teilte sie mir mit „wenn ich nur noch ein Gramm abnehme, müsse sie mich zwangseinweisen lassen“. Neben meinem sehr geringen Gewicht, war ich körperlich sehr ausgemergelt und meine Blutwerte waren sehr schlecht.
Ich habe mir über meine Essstörung keinerlei Gedanken gemacht (für mich war es noch nicht mal ein Problem) aber als die Ärztin mir mit Zwangseinweisung drohte, bekam ich doch Panik. Also hab ich erst mal versucht zu mogeln, damit ja keine Gramm weniger auf der Waage erscheint, dem war auch so.
Allerdings fing ich durch den Druck der Ärztin ernsthaft an über meine „Essstörung“ nachzudenken.
Irgendwann machte es Klick in meinem Kopf und ich wusste ich habe wirklich ein gewaltiges Problem.
Doch wie sollte ich aus dem Teufelskreis heraus kommen??? Ich wollte ja nicht, dass mein Körper wieder mehr wird. Aber ich wusste auch, so kann es nicht weitergehen.
Also habe ich mir Unterstützung bei Freunden und meinem Betreuer geholt, viele Gespräche geführt sowie immer wieder versucht etwas mehr zu essen. Doch etwas mehr war noch nicht mal ansatzweise normal, dessen bin ich mir heute bewusst.
Immer wieder gab es Phasen bzw. Tage an denen ich mich selber ausgetrickst habe. Ich habe mir eingeredet, dass ich ausreichend gegessen habe, obwohl es nicht stimmte. Der Sog meinen Körper unter Kontrolle zu halten war enorm. Es war ein Teufelskreis. Viele Rückschläge begleiten meinen Weg. Aber ich habe nie aufgeben und immer wieder neu angefangen zu essen und zu akzeptieren dass, mein Körper wieder mehr wird.
Die Kombination aus Therapie, Betreuung, Freunden und meinem starken Willen hat mich letztendlich aus der Essstörung rausgeholt.
Heute bin ich stolz darauf, ein normales Essverhalten zu haben und alles essen zu können was ich möchte.
Vor allem: Ich esse heute sehr gerne!
Aber ganz wichtig, ich habe mich mit meinem Körper angefreundet und bin froh wieder ein gesundes Gewicht zu haben.
Ich kann dir nur empfehlen, egal aus welchem Grund du eine Essstörung hast, such dir Unterstützung und kämpfe dich aus diesem Sumpf heraus.
Der Weg lohnt sich. Glaub mir, es ist so entspannt, nicht aufs Essen achten zu müssen und einen normalgewichtigen, gesunden Körper zu haben. Das alles gibt mir die Kraft mein Leben wieder lebendig zu gestalten.
Lena (27)
Depression
Die Leere ist etwas was mich begleitet, seitdem ich mich erinnern kann.
Ich war schon als Kind oft traurig und konnte nicht sagen warum.
Als ich dann in die Pubertät kam brach es so richtig aus. Ich war niedergeschlagen, konnte morgens nicht aufstehen, wollte auch gar nicht aufstehen. Das Gefühl der Leere füllte mein Herz so gut wie aus. Ich verstand nicht was das war. Es war einfach da. Das Gefühl der Hilflosigkeit erschlug mich förmlich. Als sich mit 15 mein Leben dann auch noch drastisch verändert hatte, hielt ich das Gefühl nicht mehr aus. Ich fing an zu trinken, da ich dachte, ich kann dieses erdrückende erstickende Gefühl ertränken.
Ich denke jeder, der dieses Gefühl nicht jemals selbst gehabt hat, kann es auch nicht verstehen.
Diese unendlich tiefgreifende Traurigkeit, dieses Zerissensein. Die Sehnsucht nach etwas, was diese Leere füllen kann.
Heute 7 Jahre später kämpfe ich immer noch. Ich kämpfe immer noch gegen diese Leere an.
Aber durch harte Arbeit in einer Therapie und einem Klinikaufenthalt habe ich gelernt da besser mit umzugehen. Mich nicht umwerfen zu lassen, wenn diese Gefühle aufkommen.
Ich habe gelernt, dass es besser ist die Traurigkeit zuzulassen. Sie rauszulassen. Zu reden.
Marina, 22 J.